Ich habe neulich „Die Pest“ von Albert Camus gelesen. Ich dachte mir, das könnte wegen der Corona-Sache vielleicht interessant sein. Was hat Camus damals beobachtet, als er in Romanform die Verhaltensweisen einer städtischen Menschenpopulation angesichts einer tödlichen Seuche durchspielte, so etwa. Als ich dann ein bisschen recherchierte, merkte ich, dass andere natürlich auch schon auf die Idee gekommen waren, Camus und Corona zu vergleichen. Aber was mich wunderte: Den größten Unterschied erwähnte keiner.

         Jeder weiß, was die Pest für eine Krankheit ist. Auch Camus wusste es. Seine Beschreibungen lassen an Ekligkeit nichts zu wünschen übrig. Ratten, die mit blutenden Schnauzen aus ihren Löchern kommen, durch Treppenhäuser und um überquellende Mülltonnen huschen und zu Dutzenden auf der Straße verrecken. Menschen, die am ganzen Körper eitrige Beulen bekommen, die platzen oder die man aufschneiden muss. Menschen, die unter schrecklichen Qualen sterben, ohne dass jemand etwas dagegen tun kann. Unter den krassen Schilderungen ist der Todeskampf eines Zwölfjährigen, und die ihn miterleben, verzweifeln an Gott und der Welt. Und irgendwann war mein Gedanke: Hallo, und wir gepamperte Wohlstandsbürger sind wegen dieser Corona-Sache seit anderthalb Jahren komplett am Durchdrehen?

      Jetzt ist mir natürlich klar, dass es sofort heißt, ich würde verharmlosen. Oder „leugnen“. Ich finde diesen Vorwurf bescheuert. Erst mal wollte ich ja in Ruhe vergleichen, da kannte ich das Ergebnis doch noch gar nicht. Wenn bestimmte Leute meinen, das Ergebnis eines Vergleichs schon vor dem Vergleichen zu kennen, ist das ihre Sache, aber ich würde erstmal gerne selber gucken. Und anschreien lassen möchte ich mich schon mal gar nicht. Man muss sowieso jeden Tag vergleichen, welche von zwei unangenehmen Sachen weniger unangenehm ist als die andere, also was soll das? Wenn ich jetzt also zwei schlimme Sachen vergleiche und dann zum Beispiel sage: Hey, eine Analthrombose ist schlimm, aber schlimmer ist, wenn ich (wie es Wolfgang Herrndorf ergangen ist) weiß, dass ich todsicher an einem Gehirntumor sterben werde – habe ich dann die Analthrombose „verharmlost“? Da merkt doch jeder, dass das bescheuert ist.

       Corona ist schlimm. Analthrombosen sind schlimm. Wahrscheinlich ist ein schwerer Corona-Verlauf auch schlimmer als eine Analthrombose, aber die sind eben auch nicht ohne. Wer noch keine hatte, kann es ja mal googeln oder „Feuchtgebiete“ lesen, dann weiß ersie Bescheid. Die Behandlung ist auch schlimm, weil sie scheiß wehtut. Trotzdem würde ich, wenn ich zwischen Glioblastom und Analthrombose wählen müsste, mit Freuden die Analthrombose wählen. Und wenn ich zwischen Corona und der Beulen-Lungenpest wählen müsste, würde ich Corona wählen. Es ist tatsächlich so einfach. Alles andere ist Jammern auf hohem Niveau. Und wenn wir auch beim Fußball wieder mal ausgeschieden sind – darin sind wir Weltmeister.

 

 

 

© Mike Schaefer