An jenem Spätnachmittag wurde der Wind so stark, dass die gelben Säcke, die vor jedem Haus haufenweise zum Abtransport bereitlagen, zum Leben erwachten und zu wandern begannen wie Tumbleweed in einer Geisterstadt. Vor dem hohen Torbogen des Dorfarztes rollten ein paar blassgelbe Bündel zögernd über die Straße, so dass Doc Shepard bremsen und ausweichen musste, um nicht blöderweise eines unter die Räder zu mampfen. Er erinnerte sich, dass im „Local Blättle“ vor kurzem sogar gestanden hatte, man solle die gelben Säcke bei Sturm irgendwie sichern oder so ... da bei starkem Wind sozusagen Windbeutel daraus würden. Er hatte dem dazumal amüsierte Beachtung geschenkt. Nun grinste er. Es passierte also wieder! Windbeutel? Sturmsäcke!

           

            Er bog links ab und überlegte dabei, dass so ein Vorkommnis natürlich eine exzellente Einladung und Einleitung zu einer kleinen literarischen Fantasie darstellte. Die Frage war nur, wie man sie umsetzen sollte. Na, mal sehen, dachte er.

Er lenkte den Hai geruhsam in Richtung des oberen Oil Press Valley, zum Castle des Earl of Bessenborough, das nun seit fast einem Jahrhundert der angestammte Familiensitz war.

Jetzt war erstmal Ausladen angesagt. Obwohl... dass er gerade von einem Einkauf beim örtlichen Supermarkt VIERBUCHSTABEN zurückkam, dessen rot-weißes Logo geradezu als Inbegriff der Plastikmüllschwemme gelten musste, das war nun wiederum doch mehr als Zufall. Das war doch geradezu ein Wink, der Sache unverzüglich nachzugehen.

In der Nacht schwoll der Wind unaufhörlich an und wurde zum Sturm. Maalem Doc Shepard erwachte gelegentlich und lauschte auf das Wüten draußen, auf diese Momente, wenn eine Bö zu mörderischem Gewaltstoß ausholte, so dass man unwillkürlich erschrak. Sie hatten in der Vergangenheit schon viele solcher Stürme schadlos überstanden, aber der letzte hatte eine der großen Tannen hinter dem Haus in eine ziemliche Schräglage gedrückt. Er versuchte, seinen Atem eins werden zu lassen mit der Gewalt des Riesenatems draußen. Er spürte noch, wie er in die Trance von Traumbildern absank, dann schlief er wieder ein.

Als er am nächsten Morgen erwachte, rekapitulierte er wie immer erst einmal den Katechismus der anstehenden Tagespflichten. Erst als er zur Morgendusche in den taufeuchten Schlossgarten hinaustrat, sah er, dass überall Müll herumlag: Schalen, Becher, Flaschen, Verpackungen, weiß, durchsichtig, bunt bedruckt, Folien, Becher, von Fertigmahlzeiten, von geschältem Obst, von Gemüse, von Wurst, von Käse. Überall lag das Zeug, auf dem Gras, in den Büschen, auf der Terrasse, im Blumenbeet. Er duschte kalt, zog sich an, holte einen Müllsack und begann zu sammeln.

Da hast du deinen literarischen Einfall, dachte er. Von der Realität mühelos überholt und in die Schranken gewiesen!

Stumm graste er den ganzen Garten ab, bis alles wieder einigermaßen manierlich aussah. Er würde den Müll aufbewahren müssen, diese kostbare Verschwendung, sie war der Anteil an der sinnlosen Dummheit und Gier dieser Wegwerfgesellschaft, den der Sturm des Schicksals ihm zugeteilt hatte. Er würde warten müssen auf eine Idee, was er mit diesen Rohstoffen noch Sinnvolles anfangen könnte. Was nicht in Frage kam, war, sie wieder sinnlos an die Straße zu stellen. Aber genau das würde er natürlich wieder tun müssen. Es sei denn, es gelänge ihm, eine kreativere Lösung zu finden.

Als er mit der Motorwespe zur Post fuhr, sah er sich Dutzenden von Hindernissen gegenüber, die ihn zum Slalomfahren zwangen. Überall lag Plastik herum, auf der Straße natürlich, aber auch auf den Gehwegen, auf dem Rasen und den Blumenbeeten der Vorgärten, in den Höfen, auf den Wiesen. Am Dorfbrunnen waren die Gemeindearbeiter dabei, das Zeug aus dem Wasser zu fischen und den umliegenden Platz zu säubern. Einer war mit einer Leiter auf einen Baum gestiegen, weil  im Geäst Plastikmüll hing.

Nachdem er seinen Brief eingeworfen hatte, kurvte Shepard durchs Dorf. Fiddler's Nest war tatsächlich flächendeckend übersät, bedeckt mit einem bunten Flickenteppich aus Müll. Überall regten sich Menschen, Ameisen gleich, um das Zeug einzusammeln und in die vorgeschriebenen Säcke zu stecken.

Als er zum Supermarkt FOURYOUDABBELJUU fuhr, neugierig, schaulustig, traute er seinen Augen nicht. Der ganze Parkplatz und das angrenzende Gebiet waren meterhoch zugemüllt. Ein Einfahren war unmöglich, zumal mehrere Autos auf dem Kreisverkehr und auf der Zufahrtsstraße standen, im Müll nicht mehr weiterkamen und sich gegenseitig blockierten.

Der unverkennbare Motorenlärm eines herannahenden Helikopters ließ ihn hochblicken. Tatsächlich ratterte ein rotweißer Rettungshubschrauber heran, zum Greifen nah, ging tiefer, offenbar zum Landen auf dem Acker neben der District Road 4729. Doc Shepard wurde halb amüsiert, halb schockiert Zeuge, wie das ratternde Ungetüm haufenweise Müll aufwirbelte, der im Umkreis von zehn, zwanzig Metern flatternd und schaukelnd wieder herniederschwebte. Eine Frau, die gerade ihr schützendes „Sports Utility Vehicle“ verlassen hatte, zog sich schützend die Jacke über den Kopf und hastete zurück in ihren stählernen Kokon, dessen Tür der Mann am Steuer hilfsbereit geöffnet hatte.

Doc Shepard machte kehrt und kurvte mit der Motorwespe heimwärts. 

Im mittlerweile gesäuberten, in frischem Grün prangenden, blühenden & duftenden Schlossgarten des Earl of Bessenborough setzte er sich bei einem doppelten Caffé Corretto an sein Journal & dachte nach.

War das nun das Ende der Geschichte?

Ihre schlimmstmögliche Wendung hatte sie ja genommen.

Waren die fatalen Neigungen des Menschen einfach unausrottbar?

Doc Shepard wusste es nicht.

ENDE